Bevor ich mit dem Erzählen beginne, möchte ich kurz ein paar Worte darüber äußern, weshalb es auf meinem Blog die Kategorie „Zuggeschichten“ gibt. Dies ist eigentlich ganz einfach: Im Laufe meines Lebens habe ich sehr viel Zeit in Bus & Bahn verbracht- sei es die Fahrt zur Schule oder zur Universität, die etlichen Zugfahrten zu weiterbildenden Seminaren oder ein kleiner Trip in eine sehenswürdige Stadt. Bis heute nutze ich fast täglich öffentliche Verkehrsmittel und habe dementsprechend eine ständig wachsende Sammlung an Erfahrungen gewonnen- gute und schlechte Erfahrungen, denkwürdige und lustige Erfahrungen. Gerne möchte ich mit Euch die denkwürdigsten Erfahrungen teilen und mit einer meiner schönsten beginnen…
Es ist Spätsommer. Das Wetter an diesem Nachmittag ist angenehm und die Uni vorüber. Ich gehe zur Haltestelle und steige nach einigen Minuten in den Bus ein. Da ich in einem Dorf wohne und immer dieselben fünf Busfahrer die Buslinie, die ins Dorf führt, fahren, kennt man sich im Bus. Wie immer grüße ich freundlich den Busfahrer, werde ebenso freundlich zurückgegrüßt und setze mich gleich ganz vorn auf einen der Doppelsitze.
Der Busfahrer war mir sehr sympathisch. Er hatte im Gegensatz zu den meisten anderen immer ein Lächeln im Gesicht und war nicht so langweilig wie manch anderer Busfahrer. Meistens hörte er kein Radio, sondern eine Sprachlern-CD für jene, die Deutsch nicht als Mutttersprache sprechen, um so sein Deutsch kontinuierlich zu verbessern. Ich musste immer ein wenig schmunzeln, wenn er bemüht versuchte, die von der Sprachlern-CD vorgesprochenen Begriffe auszuprechen. Manchmal legte er auch einfach während der Busfahrt eine Pause ein und machte an der nahegelegenen Outdoorfitness-Stange einige Klimmzüge, ehe er ausge-lassen und gut gelaunt zurück zum Bus lief und die Fahrt in aller Ruhe fortsetzte.
Jedenfalls saß ich nun da, schräg hinter dem Busfahrer, als ebenjener mich fragte, ob ich Muslima sei. Ich bejahte und er reagierte mit einer großen Begeisterung. „Lesen Sie auch Koran?“, fragte er mich daraufhin mit einem erwartungsvollen Blick. Ich bejahte ein zweites Mal und der Busfahrer schien hellauf begeistert. „Machen Sie weiter so, das ist gut!“, antwortete er lächelnd. Dann begann er zu erzählen, dass er in meinem Alter dem Alkohol und Drogen verfallen war und keine Kontrolle über sein Leben hatte. Er hatte seine Schule nicht abgeschlossen und sich nicht um grundlegende existentielle Fragen gekümmert. Sein Leben war ein einziger chaotischer Haufen aus Trümmern.
Er wurde immer unzufriedener mit seiner Situation und entschied eines Tages, sein Leben zu ändern. Er besuchte eines Tages eine christliche Gemeinde, welche einen Gottesdienst abhielt. Die Atmosphäre und das vereinende Gefühl des Glaubens hatten ihn an diesem Tag so stark beeindruckt, dass er beschloss, den Gottesdienst ab nun regelmäßig zu besuchen. Nach einiger Zeit nahm er den christlichen Glauben an. Er sagte, dass ihm sein Glaube dabei geholfen hat, sein Alkohol- und Drogenproblem unter Kontrolle zu bringen und ein geordnetes Leben zu führen. Und dass er heute sehr glücklich sei, auch wenn er nicht viel hat.
Er riet mir, meine Religion stets im Herzen zu pflegen und stets den Koran zu lesen. Ich war überwältigt von der Liebe und Geschwisterlichkeit, die in seinen Worten steckte. Denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass ein christlicher Mitmensch sich derart freut, wenn er hört, dass ich als Muslima die Schrift meiner Religion, den Koran, lese. Das hat mich sehr ergriffen und mir in diesem Moment ein unbeschreibbliches Gefühl der Geschwisterlichkeit und Verbundenheit gegeben.
Der Busfahrer liegt goldrichtig. Glaube vereint. Und zwar nicht nur die Gläubigen innerhalb einer Religion, sondern alle Gläubigen. Und auf solch schöne Art und Weise darauf aufmerksam gemacht zu werden, ist ein tolles Geschenk. Selbst jetzt, fast ein Jahr später, habe ich ein Lächeln im Gesicht, während ich diesen Beitrag schreibe. Ich denke an diesen wunderbaren, lächelnden Busfahrer. Ich habe ihn schon lang nicht mehr gesehen, und hoffe, dass er noch immer glücklich ist und ebenso seinen Glauben im Herzen pflegt wie er es mir riet.
Gleichzeitig denke ich mit blutendem Herz an meine Geschwister in Sri Lanka und bete dafür, dass eines Tages die Welt von Nächstenliebe und nicht von Hass regiert wird…