Skip to main content

Über Rückhalt und Wertschätzung: Kopftuch-Geschichten

Ich weiß nicht genau, wann und wie mir diese Erinnerung heute in den Kopf kam- aber sie kam, ganz plötzlich und unerwartet und zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht.

Dass Muslimas in Deutschland aufgrund ihrer Kopfbedeckung unzählige negative Erfahrungen machen müssen, ist leider die traurige Realität und Alltag für viele muslimische Mädchen und Frauen. Sei es in der Schule durch die Schüler- und Lehrerschaft, den Arbeitgeber, den x-beliebigen Nachbarn oder gar durch die eigene Familie: Da kenne ich bereits aus meinem engsten Familienkreis und meiner eigenen Erfahrung einige haarsträubende Geschichten, die nichts als Fassungslosigkeit auslösen.

Gleichzeitig gibt es aber auch einige wunderschöne Geschichten, die zu selten erzählt, zu selten gewertschätzt werden. Es sollte zwar eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber in einer Gesellschaft wie die unserer ist es das heutzutage leider nicht und daher doch irgendwie etwas Bedeutsameres, Wertvolleres. Etwas, für das wir dankbar sein sollten. Die Geschichte meiner Kopftuch-„Karriere“ ist definitiv eine von Toleranz, Wertschätzung und Rückhalt geprägte Geschichte. Sie ist eine Message für all jene da draußen, die zu viele Vorurteile, zu viel Gram und Hass in ihren Herzen tragen und somit ein rücksichtsvolles Miteinander verhindern.

Ich entschied mich mit ungefähr acht einhalb Jahren dazu, Kopftuch zu tragen. In erster Linie wollte ich damit als Muslima dem Gebot Gottes nachgehen und fand es aufgrund der Tatsache, dass auch meine Mutter und viele weitere weibliche Familienmitglieder ein Kopftuch trugen, als sinnvoll und erstrebenswert. Daher freute ich mich darauf, das Kopftuch zu tragen und verschiedene bunte Kopftücher kaufen zu können. Der einzige Haken: Ich war zu diesem Zeitpunkt auf einer Grundschule, in der es kein einziges Mädchen gab, das ein Kopftuch trug. Ich wusste nicht, wie ich es meinen nichtmuslimsichen Freunden erklären sollte und wie sie es aufnehmen würden. Meine Mutter kam auf die wundervolle Idee, das Ganze einfach zu einem Spektakel zu machen und plante eine Kopftuchparty, zu der meine Freundinnen und auch meine Klassenlehrerin eingeladen waren. Wir feierten auf einer Wiese am Fischweiher, grillten, spielten verschiedene Spiele und gingen danach noch zu mir nach Hause. Das Ganze ähnelte einer Geburtstagsfeier, die gleichzeitig dazu diente, meinen Freundinnen und meiner Lehrerin zu erklären, dass ich ab nun ein Kopftuch tragen werde. Meine Freundinnen fanden das erstaunlicherweise total spannend und waren so neugierig, dass ich ihnen letztendlich zuhause meine Kopftuchsammlung zeigte. Das Ganze endete so, dass die Eltern bei der Abholung mehrere umherlaufende, kopftuchtragende und „as-salamu-alaikum“-rufende Töchter vorfanden, die sich verhielten, als wäre das Tragen eines Kopftuchs das Spanndenste und gleichzeitig Normalste auf der Welt. Einige Eltern fanden das etwas komisch und vielleicht auch bedrohlich; aber meine Freundinnen amüsierten sich prächtig und ahnten nichts von der potentiellen Problematik der Lage.

Als zwei Tage später der erste Schultag mit Kopftuch bevorstand, erinnere ich mich noch sehr genau an eine Situation: Ich stand zögernd vor dem Klassenraum und traute mich nicht so recht, in die Klasse zu gehen. Ich hatte Angst vor negativen Reaktionen und vor einer Ablehnung aufgrund meines Kopftuches. Aufgeregt stand ich also einige Minuten im Schulflur, als eine meiner Freundinnen vorbeikam und merkte, dass ich mich nicht traute. Sie nahm meinen Arm und sprach mir zuversichtlich zu, dass bestimmt niemand etwas sagen werde. Es kamen ein paar weitere Freundinnen dazu und sprachen mir ebenfalls Mut zu. Ich hatte mich letztendlich durch den Rückhalt meiner nichtmuslimsichen Freundinnen getraut, in die Klasse zu gehen und die ersten Blicke der Schüler und Lehrer mehr oder weniger selbstbewusst entgegenzunehmen. Ich kann mich noch so gut an diesen Moment erinnern, da er für mein Selbstverständnis und Selbstbewusstsein als kopftuchtragende Muslima sehr bedeutsam und wertvoll war. Rückhalt und sogar Unterstützung von Menschen zu erfahren, für die das Tragen eines Kopftuches fremd und vielleicht auch gar nicht gänzlich nachvollziehbar ist, hat mein Selbstvertrauen und meinen Umgang mit Ablehnung stark geprägt. Ohne derartige Erfahrungen wäre ich heute bestimmt in einigen Hinsichten weniger selbstbewusst als ich es heute bin.

Ich kann mich an eine weitere Situation in der Grundschule erinnern: Hans, ein großer Junge aus der Parallelklasse, der gerne ärgerte und provozierte, versuchte eines Tages, mir mein Kopftuch abzuziehen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie es zu dieser Situation kam, aber ich erinnere mich daran, wie aufgebracht und wütend einige meiner Klassenkameraden auf mich zu kamen, um mir beiseite zu stehen. Hans war zwar wegen seiner Größe und seines fortgeschrittenen Alters (er war meiner Erinnerung nach mindestens sein Jahr älter als der Durchschnitt) in unserem Jahrgang ein gefürchteter Schüler, wurde aber durch den Einsatz meiner Klassenkameraden, die sofort zu unserem Klassenlehrer liefen und ihm alles erzählten, zur Verantwortung gezogen und bestraft. Ich musste dann noch in Anwesenheit der Klassenlehrer Hans erklären, wieso es nicht okay ist, mein Kopftuch abzuziehen und die Sache war gegessen. Hans hat sich danach nie wieder mit mir bzw. uns angelegt.

Gleichzeitig gab es dann aber auch beispielsweise meinen darauffolgenden Klassenlehrer. Einige Monate nachdem ich als erste Schülerin an der Schule angefangen hatte, das Kopftuch zu tragen, fühlten sich zwei meiner Klassenkameradinnen ermutigt und kamen eines Tages auch mit einem Kopftuch zur Schule. Mein Klassenlehrer schien kein Verständnis dafür zu haben und sagte zu den beiden sinngemäß: „Nur weil Shirin jetzt ein Kopftuch trägt, müsst ihr es nicht auch machen“. Tatsächlich hat das die beiden Mädchen so sehr eingeschüchtert, dass sie am nächsten Tag wieder ohne Kopftuch erschienen sind. Als meine Mutter davon erfuhr, lud sie den Klassenlehrer und seine Frau zu einem Gespräch zu uns nach Hause ein und machte ihn unter anderem darauf aufmerksam, dass solch ein Verhalten als Lehrperson nicht richtig ist. Der Lehrer sah dies ein und entschuldigte sich tatsächlich bei den beiden Schülerinnen. Sie fassten jedoch bis zum Ende der vierten Klasse nicht noch einmal den Mut, das Kopftuch aufzusetzen. Ob es letztendlich am Lehrer lag oder andere Gründe hatte, weiß ich nicht.

Ich könnte noch einige weitere denkwürdige, größtenteils positive Kopftuch-Momente aufzählen, wie beispielsweise der Moment, in dem ich im Sportunterricht mal wieder übermütig war und versuchte, auf einem Schwebebalken eine Rolle vorwärts zu machen- was wiederum darin endete, dass ich in einer merkwürdigen Position und halb heruntergerissenem Kopftuch auf dem Boden lag und einige Mädchen sich blitzartig ohne eine Aufforderung um mich herum stellten, bis ich mein Kopftuch wieder gerichtet hatte. Oder die unzähligen Momente, in denen meine Freundinnen auf dem Gymnasium mir mit einer rührenden Selbstverständlichkeit mein Kopftuch zurechtrückten, wenn Haut oder Haare zu sehen waren. Oder der Moment, in dem während der Mottowoche eine Mitschülerin, mit der ich eigentlich gar nichts zu tun hatte, erfreut auf mich zu kam und mir berichtete, dass sie im Radio gehört hatte, dass das Bundesverfassungsgericht zugunsten einer kopftuchtragenden Lehrerin entschied und dass ich jetzt für das Lehramt gute Chancen hätte mit Kopftuch. Oder auch der Moment, in dem mich einer meiner Mitschüler mit weit aufgerissenen Augen fragte, ob er mich heiraten müsse, weil er mich früher schon einmal ohne Kopftuch gesehen hatte. Nicht zu vergessen der erschrockene Blick eines Mitschülers, der bloß nett sein wollte und ein abstehendes Haar von meinem Kopftuch entfernen wollte, um dann festzustellen, dass es ein festes Haar war, das sich irgendwie durch das Kopftuch nach draußen geschummelt hat.

Einer der herzerwärmendsten Momente ereignete sich in einer Grundschule, die ich im Rahmen eines Praktikums besuchte. Ich hospitierte dort den Unterricht in einer zweiten Klasse und half in den Pausen dabei, die Schüler zu beaufsichtigen. Gleich in der ersten Woche kam während einer Pause eine Schülerin zu mir und setzte an: „Frau Najjjjdiiiii, was tragen Sie da auf dem Kopf?“- Ich versuchte, das Konzept des Kopftuchs so kindgerecht wie möglich zu erklären, sie nickte neugierig und sagte dann: „Sie sehen so schön damit aus! Können Sie mal eins mitbringen?“. Dieselbe Schülerin heuerte an einem anderen Tag einige Mitschüler an, die ihr dabei behilflich sein sollten, mein Sommerkleid, das bodenlang war, so zu tragen, dass es nicht dreckig und staubig wird. Ich hatte an diesem Tag vier Schüler an den Fersen, die mir mein Kleid wie eine Schleppe trugen.

Beim Abtippen dieser Erlebnisse muss ich immer wieder schmunzeln. Neben all den negativen Erfahrungen, die wir machen, gibt es meistens gleichzeitig auch mindestens ebenso viele positive Erfahrungen. Auch ihnen gebührt Wertschätzung, auch auf solche Momente sollte aufmerksam gemacht werden. Und ich glaube, dass jede kopftuchtragende Muslima auch solche Erfahrungen gemacht hat. Ich bin jedenfalls dankbar für all die positiven Erfahrungen und Momente, die ich aufgrund meines Kopftuches erleben konnte und auch heute noch erleben kann. Ich bin dankbar für Menschen, die ihre Menschlichkeit nicht verloren haben und genügend Nächstenliebe in ihren Herzen tragen, um respektvoll und würdevoll mit allen Menschen umzugehen- und sie zuguterletzt so akzeptieren, wie sie sind.

4 Gedanken zu „Über Rückhalt und Wertschätzung: Kopftuch-Geschichten“

  1. Hey Liebes,
    ich trage auch ein Kopftuch und möchte eigentlich sehr gerne Lehramt studieren, nur rät mir mein Umfeld sehr stark davon ab. Für meine Familie ist es quasi aussichtslos, dass ich so als Lehrerin tätig werden kann. Dabei habe ich aber wirklich Lust auf dieses Studium bzw. diesen Beruf.
    Was meinst du? Ist es wirklich so unmöglich, wie jeder tut, da es ja sogar teilweise Gesetze gibt, die gegen das Kopftuch sprechen? Hast du inzwischen eine Stelle als Lehrerin annehmen können? Soll ich meinen Willen durchsetzen, auch wenn es wirklich sehr schwer werden wird?
    LG

    1. Hallo Liebes, vielen lieben Dank für deine Nachricht und dass du auf mich zukommst, das hat mich sehr gefreut! 🙂
      Meiner Einschätzung nach ist die Lage zumindest beim Lehramt in vielen Bundesländern spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2015 nicht mehr so prekär. Die meisten Bundesländer haben entweder kein offizielles, absolutes Kopftuchverbot oder erlauben es grundsätzlich wie bspw. NRW. Nur einige sind da noch etwas stur, wie bspw. Berlin. Aber auch da hat man eigentlich spätestens vor Gericht eine gute Chance. Ich meine mich erinnern zu können, dass es jüngst dazu auch ein Urteil gab. Ich kenne auch in ganz Deutschland verstreut viele Muslimas, die mit Kopftuch auf Lehramt studieren oder auch teilweise schon damit arbeiten. In vielen Bundesländern, die kein klares Verbot haben, ist es auch gewissermaßen Entscheidungssache der Schulen. Ich möchte dir daher auf jeden Fall Mut geben und generell immer dazu raten das zu tun, was einem Spaß macht. Denn wenn man für etwas brennt, ist man meistens auch leidenschaftlich dabei und gut in dieser Sache, und dann wird das Umfeld dies im positiven Sinne merken. Es gibt immer Wege und beim Lehramt mit Kopftuch bin ich für meinen Teil optimistisch, dass sich immer ein Weg findet. Wenn es das ist, was dir gefällt, dann tu es! Allah swt wird dir immer Türen öffnen. 🙂

      1. Ich danke dir von ganzem Herzen dafür, dass du mir mit deiner Antwort wieder Mut gemacht hast!
        Ja, so ist es. Abgesehen von den Gesetzen der Länder, kommt es teils auch sehr auf die einzelnen Schulen an. Da muss man wohl einfach suchen und beten, dass man eine Schule findet, die einen so akzeptiert.
        Das sehe ich auch so. Allah wird uns Türe öffnen, von denen wir denken, dass sie geschlossen sind. Wir müssen nur ganz fest an Ihn und an uns glauben. Gott ist groß. Also auch so viel größer als die ganzen Regeln bzw. Gesetze, die gegen uns in Kraft gesetzt werden.
        Es freut mich wirklich, dass zu hören, da ich persönlich nicht wirklich viele Fälle kenne, in denen Hijabis auch tatsächlich ihren Beruf als Lehrerin ausüben können/dürfen.
        Oh und ich finde es so toll, dass du dein Ding so durchziehst. Ich bete dafür, dass wir uns als Muslimas nicht von solchen Dingen abhalten lassen oder uns unsere Träume ausreden lassen. InsAllah werden wir auch mal so akzeptiert werden, aber bis dahin müssen wir leider sehr viel härter arbeiten und kämpfen als andere.
        Nochmals danke für deine Antwort. Eventuell komme ich wieder auf dich zu, wenn ich mein Studium dann insAllah angefangen habe 🙂

      2. Nicht dafür, es freut mich, dass du so darüber denkst! 🙂 Komm gern immerzu auf mich zu, ich würde mich freuen! Auch dir wünsche ich auf deinem Weg bis dahin ganz viel Erfolg, Mut und Entschlossenheit <3

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.