Nicht jeder Mensch hat das Glück, in eine intakte und liebevolle Familie geboren zu werden. Vermutlich trifft dies sogar auf die wenigsten Menschen zu. Natürlich ist jedes Familiengefüge unterschiedlich in ihrer Art und Auslebungsweise, aber es gibt einige Dinge, die man für gewöhnlich mit Familie verbindet: Geborgenheit und Sicherheit. Heimat. Liebe und Toleranz. Jeder, der dies mit der eigenen Familie assoziieren kann, besitzt ein unbeschreibliches Geschenk. Und dafür sollten wir wirklich sehr dankbar sein.
Es ist nicht immer einfach, Menschen zu akzeptieren, die das Leben auf eine ganz andere Art und Weise beschreiten als man selbst. Geschweige denn sie zu lieben. Wir Menschen erwarten oftmals, dass alle Menschen ähnlich denken wie wir selbst, da wir davon überzeugt sind, dass unser Weltbild das einzig richtige ist. Oftmals führt diese Ansicht zu einer Ablehnung andersdenkender Menschen, selbst wenn diese Teil der eigenen Familie sind. Das Resultat: Geschwister sprechen über Jahrzehnte nicht miteinander, Kinder werden aus dem Elternhaus verstoßen, der Kontakt zueinander wird abgebrochen. Von solchen Fällen hört man leider sehr häufig und auch ich habe dies bei Freunden, Verwandten und Bekannten mitbekommen.
Heute möchte ich aber eine Geschichte der Liebe und Toleranz erzählen- eine Geschichte meiner nichtmuslimischen Familie, die der Konversion meiner Mutter eben nicht mit Hass oder Ablehnung begegnete. Meine christlichen Großeltern- dazu gehören meine Oma, mein Opa und auch mein Stiefopa- leben in Norddeutschland und hatten zur damaligen Zeit (wenn überhaupt) nur äußerst wenige Berührungspunkte mit dem Islam. Der Entscheidung meiner Mutter, Muslima zu werden, entgegneten sie nicht viel. Auch das Kopftuch, das meine Mutter einige Jahre später zu tragen begann, war für meine Großeltern keineswegs ein Grund, den Kontakt abzubrechen. Schließlich sei es ja ihre Sache.
Seitdem haben wir als Familie vieles erlebt und voneinander gelernt. Mein Opa erzählt bis heute aufgeregt von seinem interessanten Besuch in einer großen Moschee, zu der wir ihn einmal mitnahmen. Meine Mutter hatte ihn nach einiger Zeit aus dem Auge verloren und ihn nach langem Suchen in einem Aufenthaltsraum, umgeben von mehreren Gelehrten und sehr in ein Gespräch vertieft, gefunden. Als meine Mutter zur Pilgerfahrt nach Mekka reiste und meine Oma fragte, ob sie auf uns Kinder aufpassen könne, leitete meine Oma alles in die Wege, um spontan Urlaub zu bekommen, zehn Stunden mit dem Zug zu uns zu fahren und für zwei Wochen auf uns Kinder aufzupassen. Einige Jahre später fuhr ich mit meiner Oma und meinem Stiefopa ins Allgäu. Mit meinem Opa gingen wir am See mit Toastbrot angeln und obwohl er nicht viel besitzt, beschenkt er uns bis heute bei jeder Gelegenheit mit dem, was er hat. Und natürlich gibt es keinen Alkohol und kein Schweinefleisch, wenn wir zu Besuch sind. Meine Oma weckte uns früher zum Morgengebet und achtete darauf, keine Süßigkeiten mit Gelatine für uns zu kaufen. Meinem Stiefopa verdanke ich eine unfassbar große Sammlung an Erinnerungsfotos aus unserer Kindheit. Im Allgäu hat er mich seiner Mutter, meiner Stiefuroma, vorgestellt. Die denkwürdigste Geschichte ist die meiner Tante und ich muss immer schmunzeln, wenn meine Mutter die Geschichte erzählt. Als meine Mutter noch nicht seit allzu langer Zeit Kopftuch trug, besuchte sie eines Tages ihre Schwester im Reitstall. Wie gesagt gab es zu der Zeit auf dem Land im Norden Deutschlands nahezu keine Muslime geschweige denn kopftuchtragende Muslimas. Als einige Bekannte meiner Tante an ihr und meiner Mutter vorbeiliefen, fragten sie meine Tante ein wenig abschätzig, wer die andere Person sei. Meine Tante antwortete mit einem bestimmten Ton, der keinerlei Widerworte zuließ: „DAS ist meine Schwester“. Diese Einstellung hat sie bis heute und ich bewundere sie für ihre Direktheit und ihren Mut, Dinge so auszusprechen wie sie sind. Diesen Mut haben nicht viele. Und diesen Mut benötigen wir heute mehr denn je.
Ich habe bis vor kurzem nie darüber nachgedacht, welch ein Privileg ist, solch ein gutes Verhältnis zur Familie zu haben. Ich möchte daher an dieser Stelle vor allem meiner nichtmuslimischen Familie aus tiefstem Herzen danken. Dafür, dass sie mir dort Toleranz entgegenbringt, wo andere es nicht können. Dafür, dass sie mich lieben, wie ich bin, während andere mich dafür verachten, wer ich bin. Dafür, dass sie mir am Telefon sagen, dass es gut getan hat, meine Stimme zu hören. Dafür, dass sie stolz auf mich sind und ich jederzeit auf ihre Unterstützung zählen kann. Und vor allem dafür, dass sie ein Beispiel dafür sind, dass die Liebe zwischen Menschen Brücken zwischen Welten schlägt und somit neue Welten erschafft und ich hier davon erzählen kann. Und letztendlich dafür, dass man sich trotz unterschiedlicher Ansichten dennoch akzeptieren, respektieren und lieben, dass man sich gegenseitig bereichern kann!