Einer der letzten Meilensteine meines Studiums ist mit dem Abschluss meines letzten Schulpraktikums nun auch geschafft. Ich blicke zurück auf drei bzw. vier intensive Wochen Schule, die mich noch einmal hinsichtlich meiner Zukunftspläne nachdenklich stimmten.
Bei dem Praktikum handelte es sich um ein vierwöchiges Blockpraktikum, das jeweils für beide Fächer absolviert werden muss und nicht nur die Beobachtung von Unterricht vorsieht, sondern auch das Halten ganzer Unterrichtsreihen- in meinem Fall im Fach Physik. Dementsprechend hatte ich etwas Bammel vor dem Praktikum, da ich bis dato noch nie richtigen Physikunterricht gehalten und auch generell bisher nur sehr wenig Lehrerfahrung habe. Aufgrund des Corona-Virus besuchten mein Kommilitone und ich die Schule nicht vier Wochen am Stück, sondern eine Woche im März und die restlichen drei in diesem Monat.
Ich wurde einige Wochen vor dem Praktikum mal wieder zu einem Gespräch in die Geschäftsstelle des Zentrums für Lehrämtler eingeladen und dachte mir zunächst, dass es endlich so weit gekommen sein muss und eine Schule mich nicht mit Kopftuch als Praktikantin annehmen möchte oder irgendein anderes Problem aufgetreten ist. Ich ging also hin und traf mich mit der Bearbeiterin, bei der ich bereits einige Male vorher Gespräche bezüglich meines Lehramtstudiums geführt habe. Sie teilte mir mit, dass ich für das letzte Praktikum im Fach Physik einer kirchlich getragenen Schule zugeordnet wurde und keine andere Schule zur Verfügung stünde, die ich nicht bereits in anderen Praktika besucht hatte. Ich setzte an und wollte ihr mitteilen, dass das für mich kein Problem ist, doch sie fuhr hastig fort und erzählte, dass sie bereits mit dem Schulleiter vor Ort telefoniert und alles geklärt habe. Vonseiten der Schule bestünde kein Problem und jetzt wolle sie aber auf jeden Fall noch sicher gehen, dass es für mich okay ist und ich mich dort wohlfühle. Ich war für einen Moment wirklich überwältigt von der Mühe und den Einsatz, den diese Frau leistete und schämte mich gleichzeitig dafür, eine schlechte Nachricht erwartet zu haben. Ich dankte ihr und antwortete, dass es für mich kein Problem sei und ich mich sogar freue, auch mal solch eine Schule besuchen zu können.
Tatsächlich war es eine schöne Erfahrung, den Ablauf und die Struktur einer Schule zu sehen, die die Religiösität mit in den Schulalltag einbindet. So wurden beispielsweise in der kleinen Schulkapelle regelmäßige Gottesdienste mit gemeinsamen Frühstück angeboten. Am meisten haben mich jedoch die täglichen Gebete berührt, die in der Unterstufe stets zu Beginn der ersten Stunde verlesen werden. Meistens wurden sie von der Lehrperson selbst verlesen, einmal konnten wir jedoch auch eine Klasse beobachten, in der die Schüler selbst vorbereitete Gebete vortragen. Direkt am ersten Praktikumstag las ein Schüler aus der fünften Klasse ein selbstgeschriebenes Gebet vor, das mich zu Tränen rührte, da es mit einer beeindruckenden Aufrichtigkeit und Schönheit geschrieben war. Und obwohl ich nicht dieselbe Religion mit diesen Schülern und Lehrern teilte, fühlte sich jedes gemeinsame Gebet so an, als stünden wir als Geschwister im Glauben gemeinsam vor unserem Herrn, durch unser Menschsein und unsere Gemeinsamkeiten vereint. Dieses Gefühl hinterließ einen bleibenden Eindruck und erinnerte mich daran, wie wichtig es ist, den Begriff der Einheit (im religiösen Kontext) nicht nur auf eine innermuslimische Einheit zu beziehen, sondern diese in einem größeren Rahmen zu denken und zu leben.
Aus fachlicher Sicht habe ich durch das Praktikum vor allem mitgenommen, wie ich Unterricht definitiv nicht führen möchte. Denn oftmals bekommt man in solchen Praktika nicht nur Beispiele für guten Unterricht zu sehen, sondern mindestens ebenso oft für schlechten Unterricht. Es gab eine Lehrperson, die ihren Unterricht zu einem Großteil damit verbrachte, den Stoff in Form eines mit Anekdoten versehenen Vortrags zu vermitteln. Es wurde selten etwas aufgeschrieben, die Schüler wurden kaum mit einbezogen. Oftmals wurden zur Sicherung mehrseitige Kopien aus Schulbüchern herausgegeben. Andererseits gab es einen Lehrer, der einen sehr schülerorientierten, klar strukturierten und verständlichen Unterricht hielt, dem man gut folgen konnte. Gleichzeitig hatte man bei diesem Lehrer jedoch den Eindruck, dass er froh war, wenn er Schluss hatte und sich nicht mehr in der Schule aufhalten muss. Natürlich habe ich aber von allen Lehrpersonen auch gute Ideen für Handversuche, Unterrichtseinstiege und Unterrichtsgestaltungen sammeln können. Gerade im Fach Physik muss man nämlich nicht nur darauf achten, die Themen des Lehrplans abzudecken und einzuüben. Man muss sich sehr gut überlegen, in welcher Reihenfolge welche Teilaspekte einer Thematik eingeführt werden, sodass ein roter Faden in der physikalischen Argumentation erkennbar ist; Präzise Fragen müssen formuliert werden, um die Schüler fragend-entwickelnd auf die jeweilige Thematik zu lenken; Es muss überlegt werden, welche Gesetzmäßigkeiten induktiv über das Experiment oder deduktiv erarbeitet werden; Die Experimente müssen vorbereitet und geprobt werden; und zuguterletzt muss das Fachwissen vor allem in der Oberstufe gut sitzen und stets präsent sein. Ach ja, und man muss sich stets gescheite Aufgaben überlegen, die nicht nur das physikalische Verständnis fördern bzw. überprüfen, sondern gleichzeitig vermitteln, dass das, was gerechnet wird, relevant für die Lebenswelt der Schüler ist.
Im Vergleich zum Philosophie- und Ethikunterricht fällt mir die Planung des Physikunterrichts daher noch deutlich schwerer. Ich habe aber im Praktikum gemerkt, dass diese Herausforderung auch seinen Reiz hat. Das Schöne am Physikunterricht ist, das man durch die Experimente und durch ganz einfache Versuche für Zuhause ein wenig mehr Praxis und Abwechslung in den Unterricht bringen kann. Und da es zu einer Thematik meistens ganz viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt, hat man da auch eine gewisse Auswahl.
Das Fachliche war in diesem Praktikum aber eher Nebensache. Am meisten inspiriert haben mich in diesem Praktikum die Schüler. Ich hatte erwartet, dass sie vielleicht etwas zögerlich auf mich reagieren, da ich ja offensichtlich keine Christin war, was für den Besuch und das Lehren an dieser Schule eigentlich Voraussetzung ist. Und auch hier hatte sich meine Erwartung nicht bestätigt. Warum auch? frage ich mich jetzt, im Nachhinein. Schließlich sind es ja ganz normale Schüler, die ebenso in dieser Gesellschaft leben wie ich und nicht aufgrund der Schule, die sie besuchen, vorverurteilt werden sollten. Jedenfalls durfte ich eine Reihe wertschätzender und lehrreicher Momente erleben, und möchte euch hier zwei davon erzählen.
Ein schönes Ereignis spielte sich in einer 5er-Klasse ab, als mein Kommilitone und ich dort hospitierten. Wir gingen ab und zu herum, um die Schüler in den Arbeitsphasen zu unterstützen. Nach kurzer Zeit hatten wir jeweils gewisse „Stammschüler“, die immer nur eine Person von uns beiden fragten. Zum Ende der Stunde kam eine meiner Stammschülerinnen etwas schüchtern zu mir und fragte mich, wie ich heiße. Ich antwortete ihr mit meinem Vornamen. Sie war es augenscheinlich nicht gewohnt, den Vornamen zu hören und meinte: „Nein, ich meine wie hießen Sie mit Nachnamen? Frau ____?“ Ich verriet ihr also meinen Nachnamen, woraufhin sie sich ihn auf ihren Block schrieb. Sie kam erneut zu mir und fragte mich, ob der Name so richtig geschrieben sei. Das war er natürlich nicht, denn arabische Nachnamen sind immer etwas schwierig. Ich sagte ihr, was sie verbessern soll, sie bedankte sich und ging lächelnd wieder auf ihren Platz, schaute den aufgeschriebenen Namen noch für ein paar Sekunden an, ehe es klingelte und sie ihn zuklappte. Es war einfach zuckersüß, dies mit anzusehen und ich fühlte mich sehr geehrt, dass mein Name es in ihren Schulblock schaffte. Ihre Freundin schrieb ihn sich später sogar auch noch auf, hihi.
An einem anderen Tag hospitierten wir in den letzten beiden Stunden in einem Oberstufenkurs, der sehr leistungsstark war, aber durch den trägen Unterricht der Lehrperson ziemlich kleingehalten wurde. Nachdem ich die Klasse verließ, kamen zwei der Schüler auf mich zu und fragten mich wie ich den Unterricht fand. Ich äußerte meine ehrliche Meinung und wir kamen in ein längeres Gespräch über das Faszinierende an der Physik, Physik im Abitur und guten Unterricht. Ich war überrascht von der Offenheit und der Tatsache, dass sie mich einfach ansprachen, als kennen wir uns bereits länger als zwei Schulstunden. Seitdem begrüßten sie mich immer, wenn sie mich sahen und fragten mich nach jeder Stunde, ob ich nicht auch mal Unterricht halten könnte.
Tatsächlich haben mich diese Erfahrungen dazu gebracht, meine ursprüngliche Motivation, Lehrerin zu werden und jungen Menschen etwas mitzugeben, wiederzubeleben. Denn die war in letzter Zeit eigentlich durch andere Berufswünsche und Zukunftsvorstellungen abgelöst worden. Dies hing damit zusammen, dass der Lehrerberuf eine immense Verantwortung mit sich bringt und weitreichende Folgen haben kann- sowohl im Guten als aber auch im Schlechten. Wenn ich Lehrerin werden wollte, dann, um den Schülern eine gute Lehrerin zu sein, um ihnen die Möglichkeit zu geben, gehört zu werden und sich zu entfalten. Doch dem gerecht zu werden ist nicht einfach, da es einer großen Ausdauer und Aufopferung bedarf, um den Schülern ein Vorbild und eine Mentorin fürs Leben zu sein. Denn Schule dreht sich nicht nur um die Vermittlung fachlicher Kompetenzen, sie ist viel mehr: Für mich ist sie ein Ort des Gehört-Werdens, des Entfaltens, des Ausprobierens, des Lernens; ein Ort der Selbstverwirklichung und persönlichen Entwicklung. Und dies vor allem wegen einer handvoll guter Lehrer, die diesen Ort genau zu dem machen.
Das Praktikum zeigte mir, dass man als Lehrperson nicht perfekt sein muss und dass nicht für jede einzelne Stunde das Rad neu erfunden werden muss. Solange man aufrichtig sein Bestes gibt und die Faszination für das Fach im Herzen trägt, wird sich das -so hoffe ich- im Guten auf die Schüler auswirken. Und spätestens sobald man sich bewusst macht, dass die Zukunft von heute ein sehr wichtiges Anliegen ist und in unseren Händen liegt, sollte es eigentlich kein Zögern mehr geben- es ist die Anstrengung und Mühe wert. Es ist ja nicht so, dass die Arbeit unbezahlt bleibt: Die Wertschätzung und den Erfolg der Schüler mitzuerleben, ist eine Belohnung, die alle Mühe vergessen lässt. Auch das habe ich im Praktikum erleben dürfen.
Die guten Erfahrungen aus dem Praktikum haben mir neue Kraft gegeben, mich aufzuraffen, diesen schwierigen Weg zumindest nicht mehr auszuschließen und ihn auf jeden Fall weiter zu verfolgen. Ich bete zum Allmächtigen, mir diesen Weg leicht zu machen und der damit verbundenen Verantwortung gerecht zu werden.
Und vielleicht ist es ja ein Zeichen, dass ich bisher mit keiner einzigen Schwierigkeit in meinem Werdegang als Lehrerin konfrontiert war; vielleicht ist es die leise Ermutigung des Erhabenen, den Weg weiter zu gehen und mein Bestes zu versuchen. Also versuche ich mein Bestes.