In Ausnahmesituationen zeigen sich die Charakterzüge eines Menschen bekanntlich am besten. Abgesehen von der besorgniserregenden Ausbreitung des Corona-Virus hat mich das Verhalten der Menschen sehr zum Nachdenken gebracht.
Das Corona-Virus bricht in China aus und breitet sich dort innerhalb kurzer Zeit weiträumig aus. Weitere Staaten verzeichnen nach kurzer Zeit auch die ersten Fälle. Bald gehörte auch Deutschland dazu. Seit etwa zwei Wochen dreht sich das mediale Geschehen in Deutschland zum Großteil um den umlaufenden Virus. In den meisten Städten zeichnet sich ein besorgniserregendes Bild:
Die Menschen eilen in Scharen in die nächstgelegenen Kaufhäuser, um sich für mehrere Wochen einzudecken. Meterlange Schlangen bis zu den Kassen, leergeräumte Regale und gehetzte Gesichter prägten in den letzten Tagen das Bild in den Städten. Einige verlassen die Kaufhäuser mit leeren Wägen, da jene Lebensmittel, die sie für ihre Versorgung benötigen, ausverkauft waren. Niesende und hustende Menschen werden mit skeptischen und missgunstigen Blicken beäugt, auch wenn sie lediglich an einer Erkältung oder Allergie leiden. Menschen asiatischen Aussehens werden verbal und körperlich von panischen Bürgern attackiert. Laien ernennen sich selbst zu Corona-Experten und bilden sich ihre eigene haarsträubende Meinung über Dinge, die sie nicht studiert haben.
Der Ausbruch des Virus‘ erinnert mich daran, dass der Mensch trotz all seiner Errungenschaften nur ein kleines Rad im großen System der Schöpfung ist. Und dass er gewisse Entwicklungen auf der Erde nicht beeinflussen kann. Ironischerweise ist es ein winziger, primitiver und unsichtbarer Organismus, der die moderne, mächtige und fortgeschrittene Menschheit herausfordert und auf Trab hält.
Wir Menschen sind in Wahrheit so klein- Deshalb sollten uns die aktuellen Entwicklungen vor allem Demut lehren. Sei es Demut vor Gott, dem Allmächtigen, oder – für jene, die nicht glauben- Demut vor der Natur, in der wir leben und von der wir ein Teil sind. Gleichzeitig sollte uns das Virus auch Zusammenhalt und Solidarität lehren. Denn wir alle sind Teil der Schöpfung, Teil der Natur. Wir sollten unseren Horizont weiten und bedenken, dass wir nicht die einzigen sind, die von diesem Virus betroffen sind. Und nur gemeinsam können wir dazu beitragen, dass die Lage schnellstmöglich deeskaliert. Zuguterletzt gibt uns die jetzige Lage die Chance, uns selbst und unsere Prinzipien zu hinterfragen: Wie habe ich auf die aktuellen Entwicklungen reagiert? War diese Reaktion richtig? Gibt es in meiner Umgebung Menschen, die Hilfe benötigen? Und: Waren die 10 Packungen Klopapier wirklich notwendig???
Man könnte meinen, dass der Mensch tatsächlich ausnahmslos nach Brechts Prinzip „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ funktioniert. Vor allem in Anbetracht des Verhaltens einiger Bürger im Zuge der Corona-Krise.
Und dennoch möchte ich weiterhin daran glauben und davon überzeugt sein, dass der Mensch zu mehr fähig ist. Ich glaube daran, dass der Mensch ein Wesen ist, das in der Lage ist, seinen Egoismus zu überwinden und grundlegenden Prinzipien wie der Menschlichkeit und Gerechtigkeit Vorrang zu geben. Auch das passiert aktuell, wenn wir genau hinsehen. Menschen helfen ihren älteren Nachbarn und kaufen für sie ein. Einkäufe werden genügsam erledigt, sodass andere Menschen noch etwas abbekommen. Den Eltern aus der Nachbarschaft wird eine kostenlose Betreuung ihrer Kinder angeboten, sodass diese nicht allein zuhaus sind.
Ich hoffe, dass wir alle die jetzige Chance nutzen, unser Denken und Handeln zu hinterfragen und die Prinzipien der Menschlichkeit und der Vernunft nicht nur in guten, sondern vor allem in schlechten Zeiten (vor-)leben. Denn bekanntlich zeigen sich ja die Charakterzüge eines Menschen in Ausnahmesituationen am besten.