Das neue Semester hat begonnen und in aller Frische regt sich wieder das lebhafte Treiben an der Uni. Die Busse füllen sich mit pendelnden Studenten und die Mensa mit hungrigen Menschen, die nach intensivem Lernen, Nachdenken und Zuhören erst einmal eine Verschnaufspause brauchen. Die Sportkurse finden wieder statt und an sonnigen Tagen liegen unzählige Studenten auf der Wiese, um zumindest in ihrer kurzen Freizeit die Wärme der Sonne zu genießen.
Als ich letzte Woche zum ersten Mal wieder zur Uni gefahren bin, erinnerte ich mich daran, wie aufgeregt und begeistert ich an meinem allerersten Tag an der Uni war. In meiner Weltsicht war die Universität ein magischer Ort, an dem unzählige Visionäre, Idealisten, kluge und engagierte Menschen studierten und für bahnbrechende Erkenntnisse sorgten. Mit der Universität assoziierte ich eine Ausbildungsstätte für Denker und Philosophen, welche endlich einmal Inhalte vertieft behandelten und nicht nur an der Oberfläche blieben, wie es oft in der Schule war. Als ich an diesem Tag mit dem Bus durch das Eingangstor der Universität fuhr, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, dass die hier stattfindende Bildung und Erkenntnis wie eine große, bedeutungsvolle Glocke über dem Campus hing- und dass ich ab nun Teil dieses bedeutenden Projekts sein werde. Ich war hin und weg!
Mittlerweile ist Studieren für mich normal geworden. Ein selbstverständlicher Teil meines Alltags, den ich nicht weiter hinterfrage und der zumindest hier in Deutschland bei sehr vielen Menschen Teil des Alltags ist. Nichts besonderes also.
Wenn ich also heutzutage an die Uni fahre, hat das nichts Spannendes mehr an sich. Das Eingangstor ist ein Eingangstor und über der Uni schwebt weder eine verheißungsvolle Gedankenglocke noch eine besondere Atmosphäre der Motivation und Leidenschaft für die Bildung. Die Universität ist auch nur ein Ort wie jeder andere und ihre Menschen ein Abbild der vielfältigen Gesellschaft Deutschlands.
Ich habe dabei irgendwie ein schlechtes Gefühl und sehne mir die alte Zeit herbei, in der ich noch voller Energie und Begeisterung in den Unialltag startete. Zwar genieße ich mein Studium immer noch mit großer Motivation und Leidenschaft, aber dennoch ertappe ich mich ab und zu dabei, mich der allgemeinen Tendenz, über alle möglichen Dinge zu klagen, anzuschließen.
Oft vergisst der Mensch das zu schätzen, was er bereits hat. Und in diesem Fall ist es ein äußerst kostbares Prvileg: Der Zugang zu Bildung. Es ist sehr wichtig, sich vor Augen zu führen, wie kostbar Bildung ist. Hier in Deutschland ist sie eine geregelte Selbstverständlichkeit, zu der man sogar bis zu einem bestimmten Alter verpflichtet ist. In anderen Staaten ist Bildung keineswegs eine Selbstverständlichkeit und oftmals verbunden mit langen Schulwegen, ungünstigen Lernbedingungen und harten Nebenjobs, um das Schulgeld bezahlen zu können. Wir können uns nicht vorstellen, was andere Menschen, Kinder auf sich nehmen, um in die Schule gehen zu können. Der Besuch einer Schule, sei es auch nur die Grundschule, ist bis heute einem nicht unerheblichen Teil der Menschheit versagt, da sie dafür das Geld nicht aufbringen können. Oftmals arbeiten die Kinder selbst, um ihr Schulgeld finanzieren zu können.
Ich habe ein zehnjähriges Patenkind im Senegal, dessen Schulgeld ich bezahle. Mir wurde erzählt, dass die meisten Patenkinder vor ihrer Förderung die in der Umgebung befindlichen Müllhalden nach verwertbaren Waren durchkämmen mussten, um damit etwas Geld zu verdienen und das Schulgeld bezahlen zu können. Vor einigen Monaten schrieb mir mein Patenkind in brüchigem Französisch, dass er sehr dankbar und froh ist, in die Schule gehen zu können. Dies sind Momente, in denen man mit der Realität der Welt konfrontiert wird und sehr dankbar sein sollte für all das, was man hat.
Bildung ist also keineswegs selbstverständlich. Und gute Bildung ist heutztuage selbst bei uns immer noch ein Privileg.
Deshalb muss jede Möglichkeit, sich zu bilden, mit Dankbarkeit verbunden sein. Wir müssen dankbar dafür sein, unter solch angenehmen Bedingungen Wissen erlangen zu können. Wir müssen auch dankbar dafür sein, Bildung in Form von Fachwissen erlangen zu dürfen, denn dies hilft uns dabei, einen Beruf zu finden und darin idealerweise aufzugehen. Bildung und Erkenntnis tragen auch zu der persönlichen Weiterentwicklung bei und helfen uns, reifer und weiser durchs Leben zu gehen.
Bildung ist auch Macht. Wenn es etwas gibt, dass man einem Menschen nicht nehmen kann, dann ist es sein Wissen und Verständnis über die Welt und sich selbst. Und ich persönlich finde, dass dies ein viel wertvolleres und einflussreicheres Gut ist als alles andere auf dieser Welt.
Außerdem bedeutet Bildung auch, eine gewisse Verantwortung zu tragen. Ich sehe es als eine Art Pflicht, mein Potenzial, das ich habe, auszuschöpfen, um damit der Welt (hoffentlich) eine Bereicherung zu sein und einen Beitrag innerhalb der Gesellschaft zu leisten.
Als lernende Person trägt man aber auch in einem zweiten Sinne Verantwortung: Die heutige Zeit ist voll von Menschen, die durch Unwissen, Vorurteile und unreflektierte Ansichten geprägt sind. Nicht, dass es so etwas nicht auch früher gab- aber durch das Internet und die Möglichkeit, die eigene Meinung beliebig veröffentlichen und verbreiten zu können, handelt es sich um eine ganz andere, viel gravierendere Gefahr. Wir sehen ja im Moment, wie schnell und weit sich Hate speech, Propaganda und Hetze im Netz verbreiten und wieviel Einfluss dies auf breite Teile der Gesellschaft haben kann.
Wo liegt dabei nun meine Verantwortung? Meine Verantwortung liegt darin, bei mir selbst anzufangen und mich zu bilden; und demnach eine Offenheit gegenüber Wissen zu hegen. Es liegt in meiner Verantwortung, mich von Unwissen und daraus resultierenden Vorurteilen zu distanzieren und durch Bildung andere Menschen aufzuklären. Und deshalb sehe ich es auch in meiner Verantwortung, vor allem als Lehrerin, durch mein Studium Menschen etwas mitgeben zu können und dafür zu sorgen, dass sie aufgeklärt und reflektiert durchs Leben gehen können.
Bildung ist noch so viel mehr und auch wenn ich nun bereits mein achtes Semester an der Uni verbringe, muss ich mich immer wieder daran erinnern: Sei dankbar und sei dir dessen bewusst, welch Privileg du mit jeder Vorlesung, mit jedem Übungsblatt und mit jedem Vortrag hast- auch wenn es zu dem Zeitpunkt langweilig, anstrengend und stressig sein mag. Es ist dennoch ein Privileg.
Morgen, wenn ich zur Uni fahre, werde ich mich daran erinnern, was es bedeutet, studieren zu dürfen. Welchen Einfluss und Mehrwert man dadurch hat. Und wie kostbar Bildung ist.
Vielleicht sehe ich morgen früh ja wieder die Gedankenglocke, die, gefüllt mit Visionen, Erkenntissen und Leidenschaft, unsichtbar über dem Campus schwebt…